Das Kreuz sei den einen ein „Ärgernis“, den anderen eine „Torheit“ – so schreibt der Apostel Paulus. Zweitausend Jahre später: Wieder sind die einen sehr verärgert, die anderen halten es für dumm, wenn eine Regierung beschließt, Kreuze seien in den Eingangsbereichen ihrer Dienststellen anzubringen. Dass die bekannten Gegner des Christentums auf die Barrikaden gehen, wundert nicht – verwundert darf man aber sein, wer sich in die Reihen der Kritiker begibt und in den Chor derer einstimmt, die die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung als „Instrumentalisierung“ eines Glaubenszeichens bewertet.
Wenn zukünftig mehr Menschen in ihrem Alltag, bei ihrem Aufenthalt in den Räumen von Behörden, dem Kreuz begegnen werden, ist es Aufgabe der Kirche, zu erklären, was das Kreuz ist und welche Zusagen Gottes damit verbunden sind.
Zunächst ist es Erinnerung an Golgatha, den Ort der Kreuzigung, aber eben auch die Erinnerung daran, wie viele Christen im Lauf der Geschichte wegen ihrer Treue zum Kreuz ihr Leben ließen. Tausende Priester und Ordensleute gingen im 20. Jahrhundert in die Lager der blutigen Ideologien, weil sie das Kreuz nicht verleugneten – Millionen von Christen werden in unseren Tagen verfolgt, weil sie vom Glauben an den dreifaltigen Gott nicht lassen. Als Priester und Ordensmann ist es für mich in keiner Weise vorstellbar, das Kreuz zu verleugnen – alleine schon, weil ich mich vor den Christen zu schämen hätte, die unter Bedrohung von Leib und Leben, in Folter und Hinrichtung einer Verleugnung keinen Raum ließen.
Das Kreuz mahnt die Christen: Wir glauben an einen Gott, der für uns ans Kreuz ging und der trotz aller Drohung und Warnung an seiner Botschaft festhielt. Das Leben zu schützen kann im Sinne des Evangeliums kein Randthema sein: Die Tötung von Kindern im Mutterleib, die immer wieder aufflammende Diskussion, ob behindertes, pflegebedürftiges, altes Leben denn noch „lebenswert“ sei (und die fürchterlichen Gedanken dahinter, was das den Sozialstaat koste) sind himmelschreiendes Unrecht und müssen immer wieder deutlich benannt werden.
Überall dort, wo der Mensch zur Masse wird – ob das nun „Konsumenten“, „Humankapital“ oder „Arbeiterklasse“ heißt –, ist es dringend nötig, das Menschenbild des Christentums von der Unveräußerlichkeit der Würde des Einzelnen zu vertreten. Die Grundpfeiler des Evangeliums sind kein Parteiprogramm, das in gesellschaftlichen Koalitionen zur Verhandlungsmasse werden kann. Auch dazu mahnt das Kreuz.
Im Gegensatz zu den Göttern der Antike ist dieser Christus der ganz andere: Wir Christen schauen auf einen Gott, der leidend und gefoltert am Kreuz stirbt. Schwächer kann ein Mensch nicht sein. Hier ist aber gerade das Revolutionäre zu finden: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“. Die Botschaft vom Kreuz ist eben die Zusage, dass mitten im Leid der Ostermorgen anbricht. Da sind die Eltern, die vor lauter Sorge um ihr Kind kaum mehr Kraft haben, ihren Alltag zu meistern – und die den Halt im Glauben finden, der sie trägt. Da ist der Sterbende, der die Ernte seines Glaubenslebens einfahren darf und in körperlicher Schwäche den Trost des Glaubens erfährt. Da ist der Zweifler im Glauben, der immer wieder auf das Kreuz schaut, anklagend, kritisierend, abwägend – und der schließlich seinen ganz persönlichen Zugang im Glauben findet, vielleicht erst nach vielen Jahren. Und ja, da ist auch der Ordensmann, der die gravierenden Fehler seines Oberen sieht, sich in Gehorsam und Demut zu beugen hat – und dem plötzlich ganz neue Wege und Perspektiven geschenkt werden.
Ich freue mich über jedes Kreuz, das sichtbar ist in unserem Land. Und ich bin bereit, darüber zu sprechen, was es bedeutet – erinnernd, mahnend, stärkend. Schließlich hat auch die Bayerische Staatsregierung manchmal Erinnerung, Mahnung und Stärkung nötig. Gott sei Dank!